Das Wasser und die Landwirtschaft Afghanistans Afghanistan: Mohn und Souveränität

Politik

Afghanistan besteht zum grössten Teil aus Wüsten und Gebirgen. Die Gegenden, wo landwirtschaftliche Produktion möglich ist, reduzieren sich daher auf diejenigen Gebiete, die durch Flüsse bewässert werden.

Der Grishk-Damm in der Provinz Helmand, Afghanistan.
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Der Grishk-Damm in der Provinz Helmand, Afghanistan. Foto: U.S. Military staff (PD)

22. September 2021
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Deswegen hat sich in dieser Region nicht erst seit Jahrhunderten, sondern seit Jahrtausenden ein System der Bewässerung herausgebildet, bei dem mit sehr aufwendigen und technisch sehr anspruchsvollen Methoden Wasser aus dem Gebirge in die bewohnten Niederungen abgeleitet wurde: Das System der Kanaten.

Zur Zeit von Zahir Schah – er regierte von 1933 bis 1973 – konnte sich Afghanistan, bei einer Bevölkerung von ca. 12 Millionen (Bevölkerungszahlen sind in diesem Land immer Schätzungen, da nie Volkszählungen durchgeführt wurden) selbst ernähren. Die landwirtschaftliche Produktion reichte jedoch nicht für die von dem Monarchen angestrebte Modernisierung des Landes. Deshalb nahm Afghanistan Kredite auf, um ehrgeizige Infrastrukturprojekte in die Wege zu leiten. Afghanistan war dadurch eines der ersten Staaten der Welt, die in die Schuldenfalle gerieten, weil die in Angriff genommenen Projekte sich als unzureichend für die Bedienung der Schulden erwiesen.

Auch die Sowjetunion beteiligte sich mit einer sozialistischen Entwicklungshilfe an dem Bau von Strassen, Staudämmen und Industrie, vor allem der Lebensmittelindustrie und dem Bau von Kraftwerken zur Energieversorgung. Auch der Bergbau sollte durch diese Massnahmen gesteigert werden, dazu kam es aber nicht mehr.

Um die Produktivität der Landwirtschaft zu steigern, wollten die Anhänger der Demokratischen Volkspartei Afghanistans (pro-sowjetisch) in die Besitzverhältnisse an Grund und Boden und die Stammesorganisation der ländlichen Bevölkerung eingreifen. Damit brachten sie die ländliche Bevölkerung gegen sich auf. Es folgten Verteilungskämpfe, Widerstand und Aufstände, die in schnellen Regierungswechseln, der Einmischung der USA und dem sowjetischen Einmarsch mündeten.

Seither befinden sich die Landwirtschaft und auch das auf ihr beruhende Handwerk Afghanistans im Abstieg.

Man soll sich nicht täuschen lassen durch die medial breitgetretenen religiösen und ethnischen Spannungen und Kriege in Afghanistan: Die sind die Folge, nicht die Ursache des Kampfes um den Boden und das Wasser, der Lebensgrundlagen nicht nur der afghanischen, sondern jeder Bevölkerung.

1. Die Kanaten

Wen es interessiert, kann über dieses System hier nachlesen. Kurz zusammengefasst handelt es sich um ein Bewässerungssystem, mit dem aus Quellen in den Bergen das Wasser über unterirdische Kanäle in bewohnte Gebiete geleitet wird. Dieses System ist mindestens 4000 Jahre alt. Ein guter Teil des Irans wird bis heute über diese Kanaten bewässert, ebenso finden sie sich in Pakistan. Auch in Sinkiang war dieses System früher einmal verbreitet.

Für den Bau dieser Kanaten gilt es zunächst einmal, geeignete Quellen ausfindig zu machen. Das Wasser muss nämlich in Gegenden entspringen, wo das Gestein das Wasser hergibt, ohne es sofort aufzusaugen. Dann muss eine Art Auffangbecken konstruiert werden, aus dem der Kanal gespeist wird. Die Kanäle müssen unterirdisch aus abweisendem Ton konstruiert werden, der das Wasser weder versickern noch verdunsten lässt. Es handelt sich bei dem für die Kanaten verwendeten Material entweder um Steinplatten oder um speziell gebrannten Ton. Auch die Auffang-Stationen müssen speziell konstruiert sein, um die Verwendung des solchermassen über viele Kilometer ins Tal geleiteten Wassers zu ermöglichen. Das Gefälle darf eine gewisse Höhe nicht überschreiten, um Beschädigungen der Kanäle zu vermeiden, es muss aber den nötigen Winkel haben, um Staus und Ablagerungen zu vermeiden. Bei zu starkem Gefälle werden künstliche Wasserfälle eingebaut.

Zur Vermeidung von Verunreinigung müssen zumindest im Einzugsgebiet Filter eingebaut werden, ebenfalls aus speziell gebranntem Ton. Die Abnahmestationen müssen durch ebensolche und durch Überdachung geschützt werden.

Wieviele dieser Kanaten heute noch in Afghanistan im Einsatz sind, ist unbekannt – wie man überhaupt über dieses Land ausserhalb Kabuls und einiger anderer Städte wenig weiss. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass sich das System stark reduziert hat. Diese Bewässerungssysteme sind nicht nur schwierig zu konstruieren, sondern bedürfen auch einer konstanten sachgerechten Wartung.

Durch die ständigen Kriege, die Besatzungen, die Verminung ist erstens das Gelände, wo sich diese Kanäle befinden, in Mitleidenschaft gezogen worden. Es gehörte weiters zur Kriegsführung vor allem der Mudschaheddin im Bürgerkrieg nach dem Abzug der sowjetischen Truppen, bei feindlichen Fraktionen diese Bewässerungssysteme gezielt zu zerstören. Zusätzlich handelt es sich für die Anlage und Wartung dieser Kanaten um ein sehr spezielles Know-How, das aufgrund der Kriege verlorengegangen ist. Die alten Spezialisten starben, das Wissen wurde nicht weitergegeben, und ausserdem fehlte es auch an Arbeitskräften und Materialien, um diese Systeme aufrechtzuerhalten.

In Folge dessen ging die bebaubare landwirtschaftliche Fläche Afghanistans zurück. Und wo bereits Pech da ist, gesellt sich Missgeschick dazu: Die Wüste gewann an Terrain. Je weniger Land mit Pflanzen bebaut ist, desto weniger Feuchtigkeit zieht es an. Die Wüste schritt also fort, und die Dürreperioden erhöhten sich. Das mag auch durch den Klimawandel verstärkt worden sein, aber die Grundlage ist die Verringerung der bewässerten Fläche.

2. Staudämme

Ein Gegenprojekt im 20. Jahrhundert zu den Kanaten wurden – und sind – Staudämme und an sie anschliessende Bewässerungssysteme. Zusätzlich dienen sie der Energiegewinnung, und sind ein Teil des Hochwasserschutzes.

Viele dieser Staudämme wurden mit sowjetischen Experten gebaut. Auf jeden Fall wollte die Regierung von Zahir Schah jedoch nicht nur auf eine Karte setzen: Gerade die Dämme am Helmand (Hilmend, Hirmand) sind alle mit USA-Firmen und -Krediten gebaut worden.

Der Helmand mitsamt seinen Zuflüsse ist der bedeutendste Fluss Afghanistans. Er wurde seit Anfang der 50-er Jahre mit Staudämmen versorgt, die anscheinend – auch dank der Tätigkeit der Besatzungsmacht – bis heute funktionieren. Er ist der wichtigste innerafghanische Fluss und auch der längste Fluss Afghanistans. Er entspringt im mittleren Nordosten Afghanistans, westlich von Kabul, im Koh-e-Baba-Gebirge, und entwässert nach Südosten. Sein Endpunkt ist bzw. war in Belutschistan, im Dreiländereck zwischen Pakistan, Afghanistan und dem Iran. Er mündet(e) in einen vor allem im Iran gelegenen Endsee, ähnlich wie der Amu-Darja und der Syr-Darja in den Aralsee, oder verschiedene Flüsse in Afrika in den Tschad-See. Er erreicht also das Meer nicht, sondern versickert in der Wüste. Der Unterlauf des Helmand führt durch Wüstengebiet.

Dieser Endsee, der Hamun-See, ist eigentlich ein grosses Feuchtgebiet, das sich über das iranisch-afghanische Grenzgebiet erstreckt und je nach Wasserstand grosse Wasserflächen oder aber Sumpfgebiete mit einzelnen flachen Wasserläufen darstellt. Er ist jedenfalls für das iranische Grenzgebiet in Belutschistan essentiell, ohne das Wasser des Hamun-Sees erlischt dort jegliche wirtschaftliche Tätigkeit.

Auch die anderen grossen Flüsse, die Afghanistan durch- oder umfliessen, wurden unter der Regierung Zahir Schahs ins Auge gefasst, als Wasserspeicher und Energiequellen.

Im Rahmen dieser Staudammprojekte wurden mit den Nachbarstaaten Verträge abgeschlossen über die Mindestwassermengen, die Afghanistan über die Grenze lassen muss. Alle grossen Flüsse dieses Binnenlandes entspringen nämlich in Afghanistan, münden aber ausserhalb seiner Grenzen.

Gerade der den Helmand betreffende Vertrag mit dem Iran aus dem Jahr 1973 ist sehr grosszügig und überliess dem Iran sogar noch mehr als die ursprünglich geforderte Menge. Man wollte sich mit dem Nachbarn gutstellen – im Jahre 1973 waren sowohl in Afghanistan als auch im Iran westlich orientierte und miteinander befreundete Regierungen an der Macht.

Seither wurde – auch infolge der Kriege, der Verschlammung und Beschädigung – laut eines Artikels eines afghanisch-russischen Politologen weitaus mehr Wasser in den Hamun-See geleitet, als vertraglich vorgesehen. Das bezieht sich jedoch über den Zeitraum mehrerer Jahrzehnte. Für die einzelnen Jahre schaut die Sache anders aus. In Dürrejahren behielt Afghanistan das Wasser und der Hamun-See ging leer aus, so z.B. 1999-2001. Von der damaligen Dürre hat er sich nie wieder erholt, um so mehr, als weitere folgten, bis ins heurige Jahr.

3. Die Staudämme am Helmand und seinen Zuflüssen

Die zwei grossen Staudämme Afghanistans am Helmand wurden unter der Regierung von Zahir Schah grösstenteils von US-Firmen und mit US-Krediten gebaut. Sie stauen den Helmand und seinen Zufluss, den Arghandab.

3.A. Der Dachla-Staudamm

oder Arghandab-Damm war der erste der Dämme, die an einem Zufluss des Helmand errichtet wurde. Er wurde von 1950 bis 1952 von einer US-Firma gebaut und mit US-Krediten finanziert. Damals begann eine innige wirtschaftliche Beziehung zwischen Afghanistan und den USA, mit Joint Ventures und Krediten, die der mit Afghanistan seit jeher befreundeten SU nicht gefiel. Das entsprechende Joint Venture besteht bis heute oder wurde wieder neu eingerichtet, eine Art gemeinsame US-afghanische Wasserverwaltung.

Es war eine Entscheidung der damaligen Regierung, sich aus der Umarmung der SU zu lösen und auf die USA als neuen strategischen Partner zu setzen. Von Seiten der USA war das eine hochwillkommene Gelegenheit, sich sozusagen am weichen Bauch der Sowjetunion festzusetzen und über Kredite und US-Firmen in Afghanistan breit zu machen.

Der Stausee sollte die Trinkwasserversorgung Kandahars garantieren und das bebaubare Land in dieser Gegend erhöhen. Das gelang zwar, aber ab dem Beginn der Kriege wurde die Wartung vernachlässigt und die dort gestauten Wassermengen wurden nur mehr geringfügig für die Bewässerung genutzt.

Gegen die Verschlammung wurden um 2012 umfangreiche Sanierungsarbeiten durchgeführt, durch eine kanadische Firma. Bezahlt wurde sie durch die USA-Verwaltung. Es ist aber nicht klar, wie diese Zahlungen verbucht wurden. Hier wie auch anderswo hat die USA-Verwaltung hier einen Rechtstitel, um auf ausländische Vermögenswerte Afghanistans zugreifen zu können, sofern sich die neue Regierung nicht im gewünschten Ausmass gefügig zeigt.

Weitere Ausbauschritte waren geplant, mit Berufung auf die Wasserversorgung Kandahars, daraus wurde aber am Ende nichts.

3.B. Der Kajaki-Staudamm

am oberen Helmand wurde ebenfalls Anfang der 50-er Jahre von einer US-Firma mit Entwicklungs-Geldern der USAID-Agentur finanziert. Der Kajaki-Damm erzeugt Strom in einem Kraftwerk hinter dem Damm, das immer wieder Gegenstand von Auseinandersetzungen war und nie völlig fertiggestellt wurde. Erst wurde es bei der US-Invasion 2001 bombardiert, dann wurde es unter der US-Besatzung wieder repariert. Die ganze Wartung und der Ausbau des Staudamms und des Kraftwerks kamen während der ständigen Kriege und der Kämpfe während der Besatzung nicht so recht voran.

Der Strom aus dem Kraftwerk versorgt Kandahar und Umgebung schlecht und recht, und das Wasser dient hauptsächlich der Bewässerung von Schlafmohn-Kulturen, die im ganzen Helmand-Tal florieren, im wahrsten Sinne des Wortes.

3.C. Der Grishk-Damm und der Kamal Khan-Damm

wurden ebenfalls von den USA gebaut. Beide wurden bereits in den 70-er Jahren in Angriff genommen. Während der Grishk-Damm noch vor der sowjetischen Intervention fertiggestellt werden konnte, ruhte der letztere, nahe der iranischen Grenze, einige Jahrzehnte. 2017 wurde der Bau wieder aufgenommen, im März 2021 (!!) wurde er von Ashraf Ghani eröffnet.

4. Schlafmohn und Opium

Die ganze umfangreiche Bebauung mit Schlafmohn ist nur aufgrund der grösseren Wassermengen in den Stauseen möglich. Die Pflanze ist zwar relativ anspruchslos, braucht wenig Wasser, dieses aber dafür regelmässig. Sie kann daher nur dort gedeihen, wo kontinuierlich Wasser zugeführt wird.

Das Helmand-Tal ist eine der grössten zusammenhängenden Zonen Afghanistans für den Schlafmohn-Anbau. Gleichzeitig war die Provinz Helmand eine der heftigst umkämpften Gebiete zwischen der US-Besatzungsmacht und den Taliban. In den Jahren 2007 und 2010 wurden umfangreiche Operationen dort durchgeführt, mit vielen Opfern und Zerstörungen – vom militärischen Standpunkt ergebnislos. Helmand blieb Taliban-Gebiet.

Im Zusammenhang damit stellen sich folgende Fragen:

Wieso reparierten die USA alle Dämme im Helmand-Gebiet und bauten sogar den Kamal-Khan-Damm fertig? Wie wurde das verbucht, was war oder ist die Gegenleistung?

Wer erntet den Mohn, wer kauft ihn auf, wer verarbeitet ihn zu Rohopium und bringt ihn über die Grenze?

Welche Grenze? Nur die pakistanische, oder gibt es auch eine Route über den Iran? Über welche Häfen wird es exportiert?

Wer sind die Zwischenhändler, wer die Abnehmer? Welche Art von Geschäft ist in dieser Grenzregion entstanden?

Wohin geht dieses Rohopium letztlich?

Beim Endverwendungszweck darf man nicht nur an Junkies denken, die sich die Nadel setzen. Es gab eine Krise der Opiate in den USA, den Menschen wurden diese Medikamente als Schmerzmittel verschrieben, sie nahmen sie in grossen Mengen ein, es kam zu einer Suchtwelle mit Hunderttausenden Toten. Mit im Geschäft waren auch Johnson und Johnson.

Ameilie Lanier